"Köln - Formentera" über Feuer und Eis i
Vorgeschichte
An sich hätte einiges anders kommen sollen – an sich, aber was heißt das schon?
Mit dem Rad Richtung Island aufzubrechen, dorthin, wo die tektonischen Platten Nordamerikas und Eurasiens jährlich zweieinhalb Zentimeter auseinander driften, wo auch im Sommer die Tage, an denen es 20° warm wird, gezählt sind und wo Feuerberge darauf warten, den Flugverkehr zum Erliegen zu bringen, das hatte ich bereits im Jahr zuvor vorgehabt.
Daraus geworden war zugunsten von Projektplänen des Arbeitgebers die Überquerung der Alpen. Zeitlich ungebundener, auch nicht schlecht, aber damit war das Abenteuer Island weder aus der Schublade verbannt, geschweige denn aus dem Kopf.
Diesmal hingegen gelingt es mir gar nicht erst meinen Arbeitgeber dafür zu gewinnen, mich erneut für drei Monate zu entbehren. Da mir das Vagabundieren auf dem Rad durch die Lande jedoch wichtiger geworden ist als ein geregeltes Einkommen, beschließen meine Chefs und ich, die Zweckgemeinschaft zu beenden. Zumindest einstweilen und basierend auf einer festen Anstellung – spätere Fortsetzung auf freiberuflicher Basis nicht ausgeschlossen.
Ebenso anders wie mit dem Arbeitsplatz nach der Rückkehr verhält es sich hinsichtlich des fahrbaren Untersatzes. Anstelle von Ungewissheit bestehen diesbezüglich jedoch konkrete Vorstellungen – und dass sogar schon vor dem Abenteuer. Statt auf einem Zweirad in traditionell aufrechter Sitzposition soll es mit einem Dreirad in halbwegs liegender Körperhaltung über Asphalt und Pisten gehen. Der Vorteil, den ich mir davon verspreche: eine Entlastung von Handinnenflächen und Sitzfleisch. Auch wenn ein geschundenes Hinterteil mir in der Vergangenheit keine großartigen Probleme bereitete, das insbesondere auf der letzten Tour gen Mittelmeer mit zunehmender Reisedauer abnehmende Fingerspitzengefühl war schon unangenehm. Und ich denke da weniger an mein Auftreten Anderen gegenüber als an das taube Empfinden in den Kuppen der Gliedmaßen!
Den erhöhten Komfort gibt es jedoch nicht gratis. Das dreispurige Vehikel erfordert breitere Fahrbahnen sowie weniger eng geschnittene Kurven. Beides sollte auf Island vernachlässigbar sein und auf anderen Strecken muss ich halt aufpassen, Singletrails und Trampelpfade zu meiden.
Entsprechend fokussiert werfe ich einen Blick auf den Rundkurs über das Eiland im Nordatlantik, der noch im „Ideen“ Ordner des Rechners sein Dasein fristet. Er erfährt nach Sichtung der Wegbeschaffenheit marginale Überarbeitungen, passt aber ansonsten.
Eine wesentlichere Modifikation nehme ich nach Recherchen im Internet vor.
Eine Teilnehmerin des
outdoorseiten.net
Forums mit reichlich Island Erfahrungen rät mir von der Sprengisandur Hochlandpiste ab. Üblicherweise werde die Strecke erst später im Jahr freigegeben als die Kjölur Route, außerdem sei Letztere Anfänger tauglicher. Kein Furten, mehr Verkehr, was für den Bedarfsfall das Potential an Helfern erhöht, ein paar Kilometer kürzer aber nicht weniger sehenswert – hört sich sinnig an. Dass ich im Gegenzug damit rechnen darf, mehr von Autos aufgewirbelte Steinchen und Staub zu schlucken, hake ich mal ab unter der Rubrik „alles hat seinen Preis“.
Was mir ein wenig Kopfzerbrechen bereitet ist die An- beziehungsweise Abreise. Start in Köln, von der Haustür aus, über Hirtshals, im Norden Dänemarks, von wo aus eine Fährverbindung besteht.
So weit, so gut.
Anders hingegen der Weg von der Insel runter. Gleicher Weg, nur rückwärts?
Nein, das wäre zu einfach.
Mit dem Flieger von Reykjavík nach Köln?
Auch nicht viel besser.
Meine Vorstellung ist der Seeweg. Und natürlich nicht das letzte Stück auf dem Rhein, gen Domstadt, sondern in den Norden Spaniens, um von dort aus, vielleicht über Madrid, in den Süden des Landes zu gelangen, von wo aus die Fähren zu den Balearen ablegen, um schließlich auf Formentera die Reise in Ruhe ausklingen zu lassen. Also genauso, wie alles angefangen hat, als ich mich 2011 infizierte, mit dem Radreisevirus.
Die ernüchternde Erkenntnis ist jedoch, dass für eine Strecke Island – Biskaya keine ausreichend große Nachfrage zu bestehen scheint. Weder für den Personen- noch für den Frachtverkehr. Eine Alternative besteht lediglich darin, über England zu reisen. Zwischen Portsmouth sowie Plymouth gondeln Schiffe nach Bilbao oder Santander hin und her, doch kollidiert diese Variante mit anderen Rahmenbedingungen. Zum einen ist da die zur Verfügung stehende Zeit. Ute, meine Frau, kann sich für Island ebenso wenig begeistern wie ihr die Alpen es wert waren, sich dort die Pässe hoch zu quälen. Ich werde also wieder allein reisen, möchte sie aber dabei nicht um den gemeinsamen Urlaub bringen, der für sie Ende Juli beginnt. In Anbetracht der zu erwartenden Wetter- und Straßenverhältnisse auf Island macht für mich ein Start vor Anfang Mai keinen Sinn, was zur Folge hat, das mir für mein Abenteuer circa 13 Wochen bleiben. Da ich gut die Hälfte davon auf Island verbringen möchte, müssen sechs Wochen für das Hin- und Fortkommen ausreichen. Bei einer gemütlichen geplanten Reisegeschwindigkeit von 70 Kilometern pro Tag, macht bei einer 7 Tage Woche also einfach zu überschlagende 500 Kilometer pro Woche, sowie mehrtägigen Schiffspassagen lässt die Kalkulation keine gewaltigen „Umwege“ zu unter der Berücksichtigung, dass von Köln nach Hirtshals etwa 1.500 Kilometer zu bewältigen sind und vom Norden in den Süden Spaniens weitere geschätzte 1.000 Kilometer hinzu kommen. Darüber hinaus stelle ich fest, dass es auch nicht so ganz einfach ist, von Island nach England, Irland oder Schottland zu gelangen, beschäftige mich jedoch aufgrund der Randbedingungen nicht weiter damit. Ein weiterer Aspekt ist das Reisebudget. Dass eine Fahrt mit der Fähre nicht preiswerter wird als ein Flug, dessen bin ich mir bewusst. Was mich am Fliegen hingegen stört ist der Transport des Rades. Zusätzliche Kosten, dazu die Verpackerei – wohl dem, der sich dies erspart.
Letztendlich buche ich für den 21. Mai eine Fähre von Hirtshals nach Island sowie einen Flug von dort nach Bilbao für den 18. Juli. Das Schiff sollte nach einem Tag auf See, einem weiteren mit Zwischenstopp in Tórshavn, auf den Färörn, Morgens am 24. Mai Seyðisfjörður anlaufen, einen Ort an Islands Ostküste, von dem ich gar nicht so recht weiß, wie man ihn richtig ausspricht – vielleicht sind Internetseiten ohne nationale Sonderzeichen hilfreich, auf denen anstelle des „ð“ ein „d“ geschrieben steht (Seydisfjördur). Schenke ich Beschreibungen im Internet Glauben, so wartet anschließend direkt die erste große Herausforderung: die Fahrt einen Pass hinauf. 4 km mit 8 % Steigung, 2½ km mit 10 % Steigung. Nach 12 Kilometern rauf, rauf und immer weiter rauf sollen schließlich 610 Meter Höhe und damit der Scheitelpunkt sowie nach 27 Kilometern nicht nur der nächste Ort, Egilsstaðir, erreicht sein sondern auch der Punkt, an dem mein Rundkurs startet und endet. Dass der Flieger gut 400 Kilometer Luftlinie weiter entfernt im Südwesten der Insel abhebt, in Keflavík, nahe der Hauptstadt Reykjavík? Da muss ich mir vor Ort noch etwas einfallen lassen. Zeit genug dazu sollte ja sein, und notfalls gilt es, nochmals in die Tasche zu greifen, um ein Ticket für eine Busverbindung oder einen Inlandsflug zu lösen. Dass zudem vor dem Erreichen Spaniens eine Landung in Stuttgart auf dem Weg liegt? Ein Umstand der hilft, ein paar Euro zu sparen. Alternative Verbindungen sind nicht unwesentlich teurer, ohne dass sich die Dauer des Transfers reduziert.
Andere Streckenabschnitte gestalten sich einfacher. Um nach Hirtshals zu gelangen, wähle ich den Ochsenweg. Bis in das 19. Jahrhundert wurde auf diesem das Vieh von Jütland nach Hamburg getrieben, um es unterwegs zu weiden und zu guter Letzt an den Mann zu bringen. Mich zieht es in entgegen gesetzter Richtung. Um nicht allzu sehr auf bereits bekannten Pfaden gen Norden zu wandeln, fällt meine Wahl auf eine Route, die mich zunächst von Köln den Rhein entlang nach Leverkusen führt. Von dort aus folge ich mit der Balkantrasse, der Nordbahntrasse sowie dem rheinischen Esel ehemaligen Schienenwegen nach Dortmund, wo sich mit dem Dortmund-Ems-Kanal ein Weg an das Wattenmeer anschließt. Von Emden aus bietet sich schließlich der Nordseeküsten-Radweg an um die Elbmündung zu erreichen, dann ist es entlang des Nord-Ostsee-Kanals nicht mehr weit bis Rendsburg, wo der Ochsenweg kreuzt.
Auf der Suche nach einem Weg von Bilbao nach Dénia, von dort aus setzte ich bereits 2013 und 2015 nach Ibiza beziehungsweise Formentera über, stoße ich auf den Camino del Cid. Auch hierbei handelt es sich um einen historischen Pfad. Der spanische Nationalheld Rodrigo Díaz soll mit seinen Gefolgsleuten diesen Weg eingeschlagen haben, um von Burgos aus im 11. Jahrhundert die maurischen Besatzer des Landes bis Valencia zu vertreiben. Madrid lag und liegt zwar nicht auf der Route, die für das Fußvolk als Wanderweg GR 160 markiert ist, doch die Strecke hat den Anschein, dass sie auch per Rad nicht unattraktiv ist. Überwiegend sind es nur kleinere Ortschaften, die auf dem Weg liegen, und am Ende wartet mit der „Vía Verde de Ojos Negros“ der längste zusammenhängende Bahntrassenradweg Spaniens – erstreckt dieser sich immerhin über gute 160 Kilometer.
Was die Route auf Island betrifft, so habe ich zwar den zuvor erwähnten Plan mit der Option auf Steinschlag und Staublunge, betrachte diesen aber mehr als Idee. Zahlreiche Wasserfälle, diverse Sehenswürdigkeiten sowie Abstecher in das Hochland liegen auf der Strecke, an der ich mich im Uhrzeigersinn orientieren will.
Ob ich alles zu sehen bekomme?
Bleibt abzuwarten.
Dass ich auf alle Eventualitäten vorbereitet bin?
Wohl eher nicht!
Zwar attestiert mir die
Iceland Academy
nach aufmerksamem Studium der kurzen Videos mit auf Anhieb korrekter Beantwortung von 12 Fragen, dass ich nun weiß, wie ich mich zu waschen habe, bevor ich einen Hot Pot besteige, dass ich mich am besten mehrlagig kleide, um nicht zu erfrieren und was ich unterlassen sollte, um keine dauerhaften Spuren auf der Vulkaninsel zu hinterlassen, doch es bleiben Unwägbarkeiten.
Die eigene Gesundheit sowie die der Lieben daheim können mir ebenso einen Strich durch die Rechnung machen wie unbefahrbare Straßen, das Wetter oder andere Naturgewalten. Die Kilometer auf der Ringstraße erscheinen mir noch am verlässlichsten – da muss ich nur aufpassen, nicht unter die Räder von Autos, Bussen oder Lastwagen zu kommen. Im Wesentlichen kalkuliere ich mal Zeit als das Mittel der Wahl ein, um Unvorhergesehenem zu begegnen.
Zusätzlich werde ich einigen Rationen Tütenfutter vertrauen, um Etappen ohne Einkaufsmöglichkeiten zu überbrücken. In der Regel sollte aber die Verpflegung aus dem, was in Supermärkten und Tankstellen in den Regalen schlummert, gewährleistet sein. Somit steht fest, dass die Tour keine kulinarische wird. Dosenfutter in Form von Chili-con-Carne und Eintöpfen, für die ich mich sonst nicht erwärmen kann, werden neben einfach auf dem Spirituskocher zuzubereitenden Nudel- und Reisgerichten zur alltäglichen Beköstigung dienen, während hin und wieder eine Pizza oder gar ein Restaurant Besuch die Ausnahme bleiben dürften. Unter dem Aspekt, dass ab Juli keine Gehaltszahlungen mehr das Konto füllen, zähle ich dies zum selbst gewählten Schicksal. Bleibt lediglich abzuwarten wie oft ich mich daran erinnere, wenn sich am Abend die Gelegenheit bietet, mir ein (oder zwei oder drei oder vier) der lieb gewonnenen Radler einzuverleiben. Der kostengünstigere Zugang zu geschmackloseren Durstlöschern sollte, zumindest auf der Insel im Nordatlantik, weniger das Problem werden. Aber so ein gut gekühltes, leicht perlendes Feierabendgetränk mit Schaumkrone stehen zu lassen, wenn tagsüber der Schweiß floss, das erfordert schon wahre Stärke.
Die Ausrüstung betreffend bilde ich mir ein, einigermaßen angemessen ausgestattet zu sein. Mit Schlafsack und Kleidung habe ich bereits Temperaturen von knapp unter dem Gefrierpunkt überlebt, das Zelt hat ebenso schon der einen wie anderen stürmischen Nacht standgehalten, ohne dass es im Innern heiß her gegangen wäre, und vom Hersteller meines Rades lasse ich mir versichern, dass er in dem Vorhaben weder eine vorsätzliche noch eine fahrlässige Verletzung der Garantiebedingungen sieht.
Für bedenklicher halte ich die Stromversorgung. Auf Holperpisten werde ich kaum die 20 km/h erreichen die notwendig sind, um per Ladegerät am Dynamo den Pufferakku mit der Menge an Energie zu versorgen, die Navi, Kamera, Rechner und Smartphone benötigen. Solange ich abends auf einem Zeltplatz campiere, sollte das egal sein, aber es dürfte auch schon mal anders kommen. Ebenso wird die Erreichbarkeit per Telefon und Internet nicht durchgängig gegeben sein. Obwohl das isländische Mobilfunknetz gut ausgebaut sein soll – wer stellt schon in entlegeneren Winkeln, wo kaum Menschen 'rum rennen und noch weniger Häuser stehen, Antennen auf?
Sollte also die tägliche Berichterstattung auf sich warten lassen – fehlende Kommunikationsinfrastruktur oder leere Akkus mögen die Ursache sein.
Passt hingegen ein Satzende nicht zum Anfang, hat sich ein falsches Wort eingeschlichen oder fehlen Buchstaben, Punkte oder Kommas oder sind diese in die falsche Reihenfolge geraten, so wird es nach den Kilometern des Tages einfach an Konzentration sowie Zeit und Muße für eine Korrekturlesung gemangelt haben. Wer Fehler findet, der mag sie behalten, ansonsten freue ich mich auch und gerade unterwegs über Mitleidsbekundungen, Durchhalteparolen oder eigene Anekdoten, selbst wenn sie nichts mit dem Weg von Köln nach Formentera über Feuer und Eis zu tun haben …
Reisetagebuch
Die nachfolgenden Einträge entstanden während der Reise.
Passt ein Satzende nicht zum Anfang,
hat sich ein falsches Wort eingeschlichen
oder fehlen Buchstaben, Punkte oder Kommas
oder sind diese in die falsche Reihenfolge geraten,
so mag es nach den Kilometern des Tages,
an Konzentration sowie Zeit und Muße für eine Korrekturlesung gemangelt haben und ich bitte um Nachsicht.
Wer Fehler findet, der mag sie behalten oder mir diese gerne mitteilen.
Ansonsten freue ich mich auch und gerade unterwegs über Mitleidsbekundungen, Durchhalteparolen, Tipps und Empfehlungen,
was ich mir auf keinen Fall entgehen lassen darf,
oder Anekdoten aus dem eigenen Leben, selbst wenn sie nichts mit dieser Tour zu tun haben.
Sollte während einer Tour die tägliche Berichterstattung mal auf sich warten lassen
– fehlende Kommunikationsinfrastruktur, leere Akkus oder Begegnungen mit netten Mitmenschen mögen die Ursache sein.
Nun aber: viel Spaß bei der Lektüre. Sollten beim Lesen Fragen aufkommen - fragen!
2016-07-17
78. Tag: 24 Kilometer (Gesamt: 4674); 40 Höhenmeter; 36 Meter max. Höhe
Strecke: Sandgerði (12:00) – Keflavík/Flughafen (16:30)
Wetter: bewölkt, 15°, 3 Bft. O
Ein letzter Aufbruch in Island und Start eines neuen Abenteuers – Fliegen mit dem Liegedreirad. Die Ausrüstung ist geringfügig umsortiert, der Proviantbeutel so gut wie leer, Verpackungsmaterial griffbereit. Hoffe, dass es mir nicht so geht wie den Pärchen auf dem Campingplatz neben mir. Spanier. Einem „Buenos días“ folgte der kurze übliche Dialog des Woher und Wohin, dem Wunsch einer guten Reise, nur halt in deren Muttersprache. Bevor sie mit ihrem Bus Gas geben, hält ein anderer Nachbar sie an. Auf englisch. Weist sie mit einem Handzeichen darauf hin, dass ihr Dachzelt noch aufgestellt ist. Peinlich – war mir gar nicht aufgefallen.
Bevor ich richtig in die Pedalen trete, geht es zunächst an der Tankstelle sowie am Supermarkt vorbei, der an diesem Sonntag zu mittäglicher Stunde öffnet. An den Zapfsäulen wird nachgeholt, was ich am Vortag vergaß. Einige Blatt recht reißfestes und fusselfreies Papier mitnehmen. Weniger, um Ölstände zu messen als vielmehr, um in Bilbao die Kette neu zu schmieren und von überflüssigen Tropfen zu befreien. Im Supermarkt hingegen gilt es, mich mit Treibstoff für mich zu versorgen – der Tag ist schließlich noch lang.
Ohne das Gefühl, etwas vergessen zu haben, lenke ich im Anschluss das Gefährt in die Richtung, die ich bereits am Vortag eingeschlagen hatte. Nach Garður. Die Kamera funktioniert wieder, nur die Licht- und Sichtverhältnisse sind weniger fotogen. Islandwetter – grauer Himmel, diesig.
Bevor ich den Leuchtturm ansteuere, rolle ich über eine Schotterpiste. An der Kirche vorbei, halte am Strand. Will noch ein wenig mit mir allein sein. Irgendwie verspüre ich einen gewissen Wehmut. Auch wenn ich mich auf Spanien freue, der Abschied von Island fällt nicht leicht. Es war eine schöne, erlebnisreiche und an Eindrücken intensive Zeit. Auch wenn es kaum etwas geschenkt gab, weder beim Einkauf noch auf der Straße, es war die 30 Euro am Tag sowie alle Anstrengungen wert. Wie viele Kilos auf der Strecke geblieben sind? Ich habe mich nicht gewogen. Sehe nur, dass ich die Gürtel enger schnallen muss, die Hosen wenigstens zwei Nummern zu weit sind. Während die Flut Meter um Meter zurück erobert, sitze ich am Meer und lasse vor dem geistigen Auge Erlebnisse und Begegnungen vorüber ziehen, bis mir im Wind zu frisch wird. Derartiges werde ich sicherlich nicht vermissen. Doch wer weiß, vielleicht trauere ich auch dem hinterher, wenn es in Spanien zu heiß wird. Gegen Kälte kann man sich schützen, schoss es mir in diesen Situationen durch den Kopf, gegen Hitze nicht. Sagt sich aber leicht, ohne Windschutz. Selbst Isländer sehe ich an diesem Tag mit Handschuhen und Mützen spazieren gehen, andere hingegen werkeln im T-Shirt im Garten.
Nach ein paar hundert Metern Bewegung parke ich mein nicht unauffälliges Fahrzeug dort, wo es bereits am Vortag stand. Vor dem Leuchtturm. Diesmal will ich die Stufen empor steigen. Es noch einmal mit meinem Whale-Watching, der Walbeobachtung, probieren. Zunächst werde ich jedoch darüber aufgeklärt, dass die Besichtigung nicht kostenlos ist. Entweder ich zahle 500 ISK Eintritt, oder trinke einen Kaffee oder nehme ein Stück Kuchen. Mit der Tasse Gebräu spare ich 50 ISK. Auch wenn der Blick auf das Meer aus der Höhe kaum mehr hergibt als vom Strand und die Schnee bedeckten Gipfel Snæfellsnes an diesem Tag unsichtbar bleiben, die drei, vier Euro für den Kaffee lohnen sich. Ich komme mit dem Mann ins Gespräch, der den Leuchtturm bewirtschaftet. Von ihm erfahre ich, dass er auf die Einnahmen angewiesen ist, um Renovierungen und Unterhalt zu finanzieren. Um Wale zu sehen, so lässt er mich wissen, müsste ich am Besten im März oder April kommen. Dann springen sie häufig genug in größerer Anzahl durch die Fluten. Und im Winter sei es ein idealer Ort, um Polarlichter zu genießen. Selbst wenn es rings herum bewölkt sei, um die Landspitze herum hätte man häufig genug Glück, um dem Spektakel beizuwohnen.
Zurück an meinem Gefährt knüpft sich das nächste Gespräch an. Eine junge Familie aus Deutschland hätte jemanden im Bekanntenkreis, der ein gleichartiges Vehikel fährt. Schnell schweift die Unterhaltung ab, ich schwärme einmal mehr davon, was mich in den zurück liegenden Tagen begeisterte und bekomme zu hören, dass meine Gegenüber recht kurzfristig und ungeplant für zwei Tage auf Island gelandet sind. An sich sind sie auf dem Weg nach Kanada, doch Übelkeit während des Fluges bewegte sie dazu, den Zwischenstopp auszudehnen. Iceland-Air macht's möglich. Kurze Zeit später treibt es die vier aus dem gleichen Grund weiter, der mich in Bewegung hielt – der Wind.
Auch für mich heißt es um kurz vor 16:00 Uhr wieder Platz zu nehmen im Liegesitz. Endspurt. Auf zum Flughafen. Für 16:45 Uhr bin ich mit Helgi, dem Mann vom Flughafeninfoschalter mit Radgeschäft, verabredet, der eine Luftpumpe, einen Karton sowie eine Rolle Klebeband dabei hat. Am Bike-Pit, der Radstation, treffe ich ein paar Minuten vor ihm ein. Bevor er eintrudelt, kommt ein junger Mann an. Gerade eingetroffen aus Amsterdam, mit einem Rad auf dem Gepäckwagen. Den Drahtesel eingepackt in einen Karton, den er nicht irgendwo zu deponieren gedenkt. Schau an.
Als Helgi kurz darauf auftaucht, hat er nicht nur für mich die benötigten Utensilien dabei, sondern auch direkt den nächsten potentiellen Kunden gewonnen.
Das Verpacken des Rades gestaltet sich wie erwartet nicht ganz einfach und ich bin froh, auf einen zweiten Karton zurück greifen zu können. Die mit der Rolle Klebeband drapierte Verpackung macht noch nicht den haltbarsten Eindruck, gewinnt aber an Stabilität, nachdem sie auch mit anderthalb 60 Meter Rollen Frischhaltefolie umwickelt ist. Die andere halbe Rolle dient dazu, meine beiden Packtaschen und den Rollsack mit dem Zelt in ein (!) Gepäckstück zu verwandeln.
Im Flughafengebäude schließlich verkürzt mir Michael die Wartezeit. Michael ist Däne, räumt seinen Rucksack beiseite, um mich neben ihm Platz nehmen zu lassen, und überbrückt die Zeit zum Abflug mit Vokabel lernen. Deutsch – Spanisch. Aus dem Karteikasten für Anfänger. Es entwickelt sich eine deutsch/spanisch/englische Unterhaltung. Auch Michael ist weit gereist: Südamerika, Nordamerika, Indien – vor Island war er in Bochum, demnächst zum wiederholten Male in Barcelona. Als Lehrer in Kopenhagen mag er sich über mangelnde freie Zeiten am Stück nicht beklagen, will aber auch ein Sabbatical im nächsten Jahr nicht ausschließen. Wiederholt erhebe ich mich zwischenzeitlich zu einem Blick auf die Anzeigetafel mit den angeschlagenen Abflügen, bekomme irgendwann aber doch ein seltsames Gefühl, als es in der Wartehalle immer voller wird und weiterhin kein Checkin Schalter ausgewiesen wird. Erst auf Nachfrage an der Information lerne ich, dass ein Einchecken längst möglich ist, ich müsse nur schauen, an welchem Schalter das Logo der Fluggesellschaft prangt, bei der ich gebucht habe. Andere Länder, andere Sitten.
An den Schaltern selbst herrscht das Chaos. Nicht, dass man sich drängelt, nein, der Abtransport des Gepäcks über die entsprechenden Bänder funktioniert nicht. Als ich an der Reihe bin, werde ich mit meinem Hab und Gut an den Sperrgepäckschalter verwiesen. So weit nicht überraschend. Unerwartet hingegen der Fortschritt dort. Das Rad im Karton passt nicht durch den Scanner. Hatte ich so etwas nicht schon zweimal? Auf Ibiza? Mit normalen Rädern?
Ich soll alles auspacken. Hallo?
Und wie bekomme ich das Ganze wieder zusammen, dass auch die Versicherung der Fluggesellschaft im Zweifelsfall haftet? Ich habe weder weiteres Klebeband noch Frischhaltefolie. Und Zeit wahrscheinlich ebenso wenig.
Derlei Bedenken sind dem Mann von der Sicherheit egal, doch gibt er sich nach einiger Diskussion damit zufrieden, von einer Ecke aus mit der Taschenlampe den Inhalt meiner Verpackung zu beäugen – soweit noch mal gut gegangen.
Anschließend ist es auch bis zum Boarding nicht mehr lange hin. Als ich kurz nach Mitternacht den Flieger betrete, gibt es die nächste Überraschung. Draußen ist es fast dunkel. Erst über den Wolken glüht es am nördlichen Horizont rot, dann versuche ich es mir in meiner Sitzreihe, die ich für mich Richtung Stuttgart alleine habe, bequem zu machen – gut's Nächtle …
Ausrüstung
Rad + Zubehör
- Liegedreirad HP Velotechnik Scorpion fx mit Rohloff SPEEDHUB 500/14 Gangschaltung, bereift mit Schwalbe Marathon Plus
- 1 Paar Ortlieb Liegeradtaschen (54 Liter)
- 1 Ortlieb Liegerad Rucksack (18 Liter)
- 1 Ortlieb Packsack PS490 (22 Liter; für Zelt & Sandalen)
- 1 Ladegerät Busch & Müller E-WERK
- 1 Fahrradschloss Abus Bordo X-Plus 6500/85 sowie ein Stahlseil Abus Cobra zur Sicherung des Rades
- 1 Kabelschloss Abus Globetrotter 202/90 zur Sicherung des Gepäcks
- 2 Spanngurt a 1.0 m
- Werkzeug, Flickzeug und Ersatzteile (u.a. Schläuche, Speichen, Bremsbeläge, Kettenschlösser, Kettenöl, kleine Doppelhub Luftpumpe)
Camping
- Zelt Hilleberg Soulo + Footprint + 5 Sandzeltanker
- Isomatte Therm-a-Rest ProLite Plus large sowie Reparaturflicken
- Kopfkissen Therm-a-Rest Compressible Pillow
- Daunen-Schlafsack Meru Kolibri
- großes und kleines Microfaser Handtuch sowie Waschlappen
- Ortlieb Faltschüssel, Wassersack + Duschvorsatz
- Scrubba Waschsack (Outdoor "Waschmaschine")
- Trangia Sturmkocher-Set mit Spirituskocher
- Brennspiritus, Streichhölzer, Feuerstein/-stahl
- Campingbesteck (Messer, Gabel, Löffel)
- Trinkbecher mit Faltgriff
- Spüli, Geschirrtuch
Bekleidung
- Kappe
- T-Shirts
- Pulli
- Slips
- Hosen
- Socken
- 1 Paar Wanderstiefel
- 1 Paar Sandalen
- Badehose
- Weste (Windbreaker)
- Multifunktionstuch (Buff)
- Regenbekleidung (Jacke, Hose, Gamaschen)
- Mütze
- 1 Paar Fahrrad Handschuhe (die ohne Fingerspitzen)
- Fahrradhelm, Warnweste
Technik
- 1 Netbook Asus eee R101
- 1 GPS Gerät Garmin etrex Vista HCx mit Kartenmaterial OpenFietsMap (s.u.)
- 1 Kamera Panasonic Lumix FZ38
- 1 Smartphone Samsung Galaxy S3 mini mit deutscher Prepaid Karte
- 1 Sanyo eneloop USB-Ladegerät MDU01 zum Aufladen von 2 AA bzw. AAA Akkus
- 1 POWERTRAVELLER Minigorilla Ladegerät mit Adaptern für die zuvor genannten Geräte
- 1 Stirnleuchte
- Ersatzakkus für Navi & Taschenlampen
Sonstiges
- Kulturbeutel mit Zahnbürste, Zahnpasta, Shampoo, Rasierapparat/Haarschneidemaschine
- Sonnenbrille, Lesebrille (man ist ja nicht mehr so ganz jung)
- Armbanduhr
- Klappschaufel, Toilettenpapier
- 3m Seil und Wäscheklammern
- 1 Rolle (5m) Duck Tape, handvoll Kabelbinder
Links
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Die verlinkten Seiten empfand ich im Zuge der Reisevorbereitung als informativ, lesens- und empfehlenswert.
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so bin ich für einen entsprechenden Hinweis dankbar.
Die Reihenfolge der Einträge stellt keine Wertung dar, sondern entspricht im Wesentlichen der, in der ich die Seiten kennen gelernt habe.
Erfahrungsberichte
- outdoorseiten.net - Reiseberichte und Foren von Freiluftaktivisten; u.a. auch Island per Liegedreirad
- Dieter Graser - Wanderungen über das Hochland Islands
- www.islandreise.info - Forum Islandreisender oder der, die es werden wollen
- Dietmar Schäffer - allerlei Informationen rund um Island
- Ulf Hoffmann - Island für Radler
- Jörg Wilsky - NORDBILDER / Norwegen - Island
- Jakob Maercker - u.a. Radreisen auf Island
- Torsten Mahler - Erfahrungen von Islandreisen mit dem Mountainbike und zu Fuss
- Conrad Philipp & Matthias Weißbrodt - u.a. Reisebericht einer Islandreise
- Emil Granz - impressions-of-travelling.com mit Reisebericht einer Islandreise
-
Martin Moschek - 10 Tipps für Island per Rad (und auch ohne) sowie Eindrücke einer Tour 2013
Island - mit dem Fahrrad einmal rundherum - Matthias Zepper - Fotoalbum Island
- Annette und Olaf Birgelen - Island-Radtouren
Reiseführer
- Reiseinformationen Europa des ADFC
- Informationen zu Anreise, Reiseziele, Routenempfehlungen, Fahrradmitnahme in Bahn und Bus sowie Adressen in diversen Ländern und Regionen der Fahrradbibliothek Dresden
- Rad-Route Dortmund-Ems-Kanal
- EuroVelo - das europäische Radtourennetz
- Radnetz Deutschland - D-Routen
- Bahntrassenradeln – Verzeichnis der Bahntrassenwege
- Camino del Cid (spanisch)
- Wanderweg Camino del Cid
- Ratschläge & Infos für Radler vom Icelandic Mountain Bike Club (englisch)
- Island Reiseratgeber (englisch)
- Visit Iceland - Offizielle Tourismus Webseite von Island
- Offizielle Tourismus Webseite von Formentera
- Inoffizielle Webseite von Formentera (insbesondere interessant: Foren - fonda.de)
Fahrpläne
- Smyril Line - mit der Fähre (MS Norröna) nach Island und auf die Färöer
- Eimskip - Frachtschiffreisen nach Island
- Aquabus - preiswerte Fähren zwischen Ibiza und Formentera
- Balearia - Fähren von Barcelona bzw. Dénia nach Ibiza und Formentera
- Mediterranea Pitiusa - Fähren zwischen Ibiza und Formentera
- Trasmapi - Fähren zwischen Ibiza und Formentera
Software
- Openstreetmap - freie Weltkarte
- OpenFietsMap - aus Openstreetmap generierte routingfähige Fahrradkarten (Schwerpunkt: Europa)
- GPS Babel - freie Software zur Konvertierung zwischen verschiedenen Datenformaten (u.a. kml/gdb)
- Google Maps - kostenlos nutzbare Straßenkarte
- Google Earth - weltweite geografische Informationen, auch kostenlos
Reisebekanntschaften
Mit dem Rad von Köln nach Formentera
es geht auch anders ...
- 2011 - auf direktem Wege: man fängt vielleicht klein an. Den Rhein rauf bis Strasbourg, entlang von Rhein-Rhône-Kanal, Doubs und Saône nach Lyon, Rhône runter, bis zum Mittelmeer, der Küste Richtung Westen folgen, zwischendurch die Pyrenäen überqueren, in Barcelona auf die Fähre steigen - und schon mag ein Interesse geweckt sein, das einen nicht mehr los lässt.
- 2013 - die Nordroute: zunächst in entgegen gesetzter Richtung, gen Norden. Bis dahin, wo es auf der Straße nicht mehr weiter geht. Zum Nordkap. Von dort aus per Fähre nach Hammerfest, Flieger über Tromsø und Bergen nach Aberdeen, aus eigener Kraft via Nordseeküstenradweg bis London, querfeldein über Paris, Bordeaux sowie Bayonne. Im Anschluss an den Jakobsweg schließlich die weitere Umrundung der iberischen Halbinsel bis Dénia.
- 2015 - über die Alpen: Mittelland-Route, Romantische Straße, Via Claudia Augusta, Eurovelo Route 8 - und schon ist man da. Fern-, Reschen- und Tenda-Pass gilt es zu bezwingen, dafür locken nicht nur Venedig, die Côte D'Azure sowie die Deltas von Po, Rhône und Ebro.
- 2018 - Wintertour: Route fast wie 7 Jahre zuvor, jedoch allein, mit dem Liegedreirad und zu einer anderen Jahreszeit. Ergebnis: gänzlich andere Erlebnisse.
Werbung - in eigener Sache
Warum immer wieder Formentera? Es gibt Gründe. Gute Gründe. Nachlesbar sind sie außerdem.Danke
- Ute, meiner Frau, die mich nicht davon abhielt, einen Traum zu leben
- der Pannenhilfe des ADFC, die zweimal einfach und unkompliziert dafür sorgte, dass ich die Reise trotz technischer Widrigkeiten zügig fortsetzen konnte
- allen die ihren Beitrag dazu leisteten, das Vorhaben in die Tat umzusetzen, mich unterwegs unterhielten beziehungsweise wie-auch-immer unterstützten